Wednesday, March 30, 2011

20 oder 30 Jahre

Am Anfang war es ein Trost fuer mich: Jeder kennt einen, der mit MS schon 20 oder 30 Jahre sehr gut lebt und zurechtkommt. Jeder Arzt sagt einem, dass man ohne weiteres 20 oder 30 Jahre bla bla bla. Irgendwann wurde ich stutzig. Warum immer diese Zahlen? Immer ausgerechnet 20 bis 30 Jahre? Was ist mit 40? Oder 50? Das habe ich noch nie gehoert. Komisch, gell? Was wirklich meine Alarmglocken laut schlagen laesst, ist, wenn in diesem Zusamenhang von einem Arzt gesagt wird, dass ich ja froh sein kann, dass es bei mir erst mit 51 angefangen hat, weil es doch normalerweise mit Anfang-Mitte 20 bla bla bla.

Auf die Dauer macht es mich stutzig. Dass man das immer wieder so hoert. Von jedem. Froh sein? Gerade vor zwei Tagen hat mein normaler Hausarzt ebenfalls diesen Spruch gebracht. Der kennt mich, und weiss wie aengstlich ich bin. Bei dem war ich, um mir was fuer die Nerven verschreiben zu lassen, um die Warterei auf die Tests etwas ertraeglicher zu machen. Und sogar der, der immer darauf achtet, bei mir keine Panik zu schueren, kommt mit dem Spruch von den 20 oder 30 Jahren und dem froh sein, dass die MS erst in meinem Alter zum Vorschein gekommen ist, und nicht schon viel frueher.

Also meine "Uebersetzung" von dieser Weisheit lautet langsam "Du kannst froh sein, dass du es erst so spaet bekommen hast, denn in deinem Alter ist die Lebenserwartung selbst im besten Fall nicht laenger, als noch 20 oder 30 Jahre, da ist es ja also sowieso bald vorbei."

Entschuldigung, aber meine eine Oma wurde 94!! DAS sind meine Gene, und DAS habe ich mir bisher zum Standard fuer mich gehalten. Nicht 70 oder 80. Das ist heute nicht mehr alt, und bis ich dahin komme, wird es erst recht nicht mehr alt sein. So wie 50 heute das neue 30 ist, wird in 30 Jahren 80 das neue 40 sein.

Und warum hoert man nie von sehr alten Leuten, die mit MS leben? Weil es solche nicht gibt. Die leben naemlich gar nicht lange genug, um RICHTIG alt zu werden. Falls es eine andere Erklaerung gibt, dann bin ich noch nicht darauf gekommen.

Darf ich das alles jetzt verstehen im Sinne von "Wenigstens hat es dir deine jungen Jahre nicht verdorben, und jetzt, in deinem Alter, geht's ja sowieso bergab, da kommt's auch nicht mehr so drauf an."

Das sagen sie zwar nie direkt, aber man merkt trotzdem, wie sie sich bremsen, nachdem sie einem sagen, man kann froh sein, es erst jetzt bekommen zu haben. Weil sie nicht direkt sagen wollen "weil mit ueber 50 der beste Teil des Lebens eh vorbei ist, also was soll's, viel versaeumen wirst du ja nicht mehr."

Wollen die mir wirklich verklickern, dass ich nicht darauf hoffen kann, aelter als 70 oder 80 zu werden?? Oder wo nehmen sie diese Zahlen 20 bis 30 Jahre so auffallend oft her???

Selber mache ich mir solche Gedanken ja immer. Auch schon lange vor der MS. Nicht selten habe ich schon gedacht, ich habe teilweise so ungesund gelebt, und stresse so viel, dass ich von Glueck sagen kann, wenn ich die 60 sehe. Aber wenn einem ein fruehes Ableben von Anderen suggeriert wird, und dazu noch Aerzten, also Fachleuten, dann ist das noch mal was ganz anderes. Es macht mir Angst. Ja, ja, ich weiss: Wir werden alle sterben, es gibt keine Garantien, ich kann heute von einem Bus ueberfahren werden, es kann jeden treffen, habe ich noch ein Klischee vergessen? Ach ja, dieses: "Also ICH lebe im HIER und HEUTE!" und saemtliche Varianten hiervon. Aber von all dem abgesehen, ist es trotzdem gruselig, dass ich mit 80 oder sogar 70 dem Sensenmann begegnen koennte, anstatt mit irgendwas an die 100, und dass das offenbar schon heute abzusehen ist. Weiss nicht, ob mich hier einer vesteht. Vergessen wir's.

Der Hausarzt vor zwei Tagen hat es fertiggebracht, das Resultat vom MRI des Genicks gefaxt zu bekommen, waehrend ich dort war. Damit ich nicht bis zum 19. April warten muss, wo ich die Spezialistin wieder sehe. Und es ist okay. Na ja, es sind MS Herde (danke Bri Blog fuer diesen deutschen Ausdruck fuer "lesions"!) dort. Wie erwartet. Sonst nichts. Er ging kurz raus, und liess das Papier auf dem Tisch liegen, und ich habe selber noch mal geguckt. Das medizinische Latein, soweit ich es interpretieren konnte, sagte wirklich genau das. Und dass die teilweise sich im Moment sogar zurueckbilden. Wahrscheinlich weil die Steroids (d?), mit denen die mich im KH 5 Tage lang vollgepumpt haben, noch wirken. Ich habe mich auch in letzter Zeit etwas besser gefuehlt. Und von leichter Skoliose im Genick stand da noch was. (Da trifft mich aber der Donner. Dass ich eine krumme Wirbelsaeule habe, weiss ich schon mein Leben lang, danke.)

Allerdings konnte er die Ergebnisse der Bluttests nicht bekommen. Er hat mir aber gesagt, dass es zwar theoretisch moeglich ist, dass bei so einem Lebertest "zufaellig" Krebs gefunden wird, aber die Wahrscheinlichkeit waere so eins zu tausend. "Das kommt vielleicht in einem von tausend Faellen vor", hat er mehrmals betont. Trotzdem werde ich keine Ruhe haben. Was ist, wenn solche Statistiken nur von Leuten ausgehen, die regelmaessig zu Vorsorgeuntersuchungen gehen, bei denen sich also gar nichts wirklich Schlimmes bilden KANN??? Erst recht nichts, was schon so weit fortgeschritten ist, dass es auf der Leber Metastasen aufzeigen wuerde??

Wie gesagt, ich spinne weiter vor mich hin, finde fuer jeden Trost ein "ja, aber", und werde keine Ruhe haben, bis das alles vorbei ist mit dieser Testerei und dieser Ungewissheit und diesem Kopfkino.

Ich will mich jetzt endlich darauf konzentrieren koennen, die MS in den Griff zu bekommen, ohne diese Randangst, die zwar nur mein Kopfkino ist, dadurch aber nicht besser wird.

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