Thursday, April 15, 2010

Die Widersprueche der Frau Zipperlein

Dass ich mich im Urlaub gedanklich mit Frau Zipperlein beschaeftige, ist ein Widerspruch an sich, der eine eigene gruendliche Begutachtung wert waere. Wer weiss, vielleicht will ich rechtzeitig damit anfangen, mich seelisch auf sie vorzubereiten, wenn ich sie Anfang/Mitte naechster Woche wieder ertragen muss. Von wegen "aus den Augen, aus dem Sinn"...

Frau Z. ist uebertrieben bescheiden, und laesst Dinge mit sich machen, die jeder normale Mensch als Beleidigung empfinden wuerde. Z. B. ist sie (wie schon mal angesprochen) jedermann's Muelleimer: Jemand hat was gekauft, was ihm dann nicht schmeckt (oder sich vergriffen, oder ist satt, was auch immer), und kommt unweigerlich zu Frau Z.: "Hier, Frau Z. Nimm DU das. Es schmeckt mir nicht (oder was auch immer)". Es wird nicht mal gefragt, ob sie das ungeliebte Teil ueberhaupt will, ob sie so was mag, etc. Nein, es wird einfach angenommen, dass die arme Alte alles nimmt (das sieht man ja auch ihren Klamotten an, die nicht passen - weder ihr, noch zueinander, noch zu irgendeinem Stil, vergangen oder aktuell - weil sie aus dem Ausmerzhaufen ihres WE Saftladens an sie geschoben wurden, und sie bescheiden und ohne aufzumucken alles annimmt). Sie empfindet das "nimm du's!" als Befehl, und Befehlen hat man zu folgen, basta.

Ich schaeme mich jedesmal fremd fuer die Person. Mit mir (ich bin sehr waehlerisch, mit Essen und ueberhaupt) wuerde man das gar nicht erst probieren. Ich will anderer Leute Abfaelle nicht, weil ich kein Hund bin, und wuerde sie daher schon aus Prinzip ablehnen, und irgendwie scheint das in meiner Ausstrahlung herueberzukommen. Auch sonst ist niemand am Empfangsende solcher Entsorgungsaktionen. Nur Frau Z. Und was tut sie? Sie sagt auch noch: "Ach, das kann ich doch nicht ANNEHMEN! Warte, ICH BEZAHLE ES DIR!" Natuerlich lassen sich die Muellablader es nicht von ihr bezahlen, die wollten das ueberfluessige Essen ja nur elegant loswerden ohne das schlechte Gewissen, es in den Muell geschmissen zu haben. Aber dass Frau Z. KEIN BISCHEN STOLZ HAT, das gibt einem jedesmal zu denken. Na ja, mir. Mir gibt es zu denken, und ein paar anderen sicher stillschweigend auch.

Uebermaessig bescheiden, und dienerhaft. Jeden - aber auch jeden - unhinterfragt als "Autoritaet" ansehend - Das ist Frau Z., wie sie leibt und lebt. Neu ist das ja nicht.

Nun durfte ich vor kurzem entdecken, dass man Frau Z. nicht einfach so in eine Schublade stecken kann, DENN SIE HAT AUCH NOCH GANZ ANDERE SEITEN. Und zwar die, die sie aufzieht (Moment, ich glaube das sind dann SAITEN, was soll's), wenn man ihr ein kleines bischen Macht gibt. Also ein Phaenomen, das man oefter bei Menschen niederen Standes, bei Menschem mit einem gewissen Los im Leben, feststellen kann. Trotzdem hat es mich fast aus den Socken gehauen.

Ruft sie ploetzlich an einem Montag aufgeregt fluesternd ihre Schachtel auf der anderen Seite der Trennwand an: DAS habe sie ihr noch vergessen zu erzaehlen! Es ging darum, dass sie an dem entsprechenden Wochenende bei ihrem komischen Kohl's-Saftladen an der Kasse war (sie wird offenbar mal hierhin, mal dahin geschickt, rotiert). Und - fluesterte Frau Z. atemlos vor Aufregung ins Telefon: Da habe eine Dame eine Steppdecke gekauft, die bis zum Vortag fuer 80 Dollar im Sonderangebot gewesen war, und jetzt offenbar wieder ihren Normalpreis von $100-irgendwas kostete. Die Dame wollte noch den Sonderangebotspreis (stand noch so auf dem Artikel offenbar, weil noch nicht geaendert). Frau Z. - sich im Recht fuehlend - hat ihr dann nicht ohne Wichtigkeit die REGELN erklaert. Das Sonderangebot sei am Vortag ausgelaufen, und die Decke koste jetzt wieder Vollpreis. (Noch beim Erzahlen hat sie vor kuenstlich-selbstgerechter Empoerung und unterdrueckter Hochstimmung fast gebebt, ich will mir gar nicht vorstellen, wie sie da wohl IN der Situation aufgetreten war...).

Die Kundin habe nicht locker gelassen. Und dann kam der Hammer, und es ist gut, dass es so Leute wie Frau Z. gibt, die staendig im Einsatz sind, und dafuer sorgen, DASS KEIN MENSCH NIEMALS NIE IRGENDWELCHE SONDERBEHANDLUNG BEKOMMT! (Ich konnte die Kundin inzwischen gut verstehen, sowie alle Kundinnen, ueber die Frau Z. sich schon jemals geaeussert hat. Ich haette genauso gehandelt wie die Kundin, und mir tut jeder leid, der da blauaeugig in das Geschaeft geht, und an Frau Z. als Verkaufshilfe geraet, ooooooooooh, Gott!!) Die Kundin habe dann gesagt, sie haette hier fuer ueber $1000 Ware, die sie im Begriff sei, zu kaufen, und ES STEHE IHR ZU, aus Kulanzgruenden fuer ihren hohen Einkauf noch das Sonderangebot fuer die Steppdecke zu bekommen! *five!!* (Manche Leute haben eben ein gesundes Anspruchsdenken, was ich sehr gut nachvollziehen kann. Anm. der Redaktion)

Frau Z. atemlos zu ihrer Tratsche (die ich durch die Wand hoeren konnte, und die leicht genervt und abgelenkt schien, wahrscheinlich hatte sie Arbeit da liegen...): "Ich habe der gesagt "Andere Leute geben hier auch viel Geld aus, UND TROTZDEM MUESSEN SIE SICH AN DIE REGELN HALTEN!"" An dieser Stelle hat ihr vor orgasmischer Selbstgerechtigkeit sogar das nicht vorhandene KINN genuesslich gebebt. Ich konnte es dann nicht mehr mit anhoeren/sehen, ging ein bischen spazieren, und bekam nur noch den Schluss mit: Frau Z.'s Manager dort habe hinterher gesagt, sie haette doch der Dame noch das Sonderangebot geben sollen, sooo eine grosse Sache sei das ja nun nicht. Und Frau Z. habe ihm im Hoehepunkt ihres grossen Auftritts siegesgewiss entgegnet: "Nein. Denn es ist nicht gerecht. Regeln sind Regeln. Und gerade weil sie gesagt hat, es wuerde ihr *zustehen*, habe ich es nicht gemacht!" (Den Teil mit dem "zustehen" hat sie noch mehrmals zitiert, ich glaube, er war fuer sie der Knackpunkt. Weil sie sich selber nicht traut, mal unbescheiden zu sein, will auch anderen das Recht dazu absprechen.)

Gut so, Frau Zipperlein. Da koennte ja jeder kommen. Gottseidank gibt es noch mutige Verfechter der Gerechtigkeit.

Ueber DIESE Kundin muss sie sich sicher nicht mehr ereifern. Denn so wie sich das angehoert hat, ist die zum letzten Mal in dem Laden gewesen. Wenn Frau Z. sich im Recht fuehlt, dass irgendeiner die allseits gefuerchtete SONDERBEHANDLUNG will, wird sie naemlich alles in ihrer mickrigen Macht daran setzen, das zu verhindern. Auch wenn der Laden wegen ihr vielkaufende Kunden verliert. So weit denkt sie aber gar nicht. Hauptsache, sie hat ihr bischen Macht ausgekostet, um es so einer TUSSE mal so RICHTIG ZU ZEIGEN. Jawohja.

Auch wenn sie am naechsten Tag wieder bescheiden und gebuckelt die Essensreste ihrer Kollegen annehmen wird, und sich sogar noch verpflichtet sieht, fuer selbige Geld zu bezahlen.

Und was lernen wir aus diesem Roman?

Frau Zipperleins wahren Charakter?

Ja. Eindeutig JA. AUCH das. Ohne Frage.

Und was noch? Das hier: Leider ist solch neidische, feige, verschlagene MISSGUNST nicht auf Frau Z. begrenzt, sondern ist repraesentativ fuer sehr viele Menschen mit niederem Stand im Leben, wenn man ihnen ein ganz kleines bischen Macht gibt. Wer das Gefuehl hat, selber zu kurz gekommen zu sein im Leben, wird nie und nimmer fuer andere mal ein Auge zudruecken, ein bischen grosszuegig sein. Deshalb sind mir persoenlich niedergestellte Menschen in der Oeffentlichkeit nicht selten ein groesseres Graeuel, als die vielbeschimpften "Maechtigen", die dann aber mal was durchgehen lassen, weil sie sich nichts mehr beweisen muessen.

Frau Z. ist eindeutig auf viele Arten zu kurz gekommen, hat aber nicht die Selbstreflektion, sich damit bewusst auseinanderzusetzen. Irgendwie ist da gar kein Widerspruch zwischen dem Essenreste gehorsam annehmen, und der Kassen-Episode. Es sind nur zwei logische Seiten von ein und derselben matten Muenze.

1 comment:

  1. Sittenpolizei is watching you. Es muss schon hart sein mit solchen Prinzipien leben zu müssen :(

    LG
    Mel

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